Tourette Syndrom - Tics
Das Gilles-de-la-Tourette Syndrom wurde 1825 erstmals wissenschaftlich erwähnt und von seinem Namengeber, dem französischen Arzt George Gilles de la Tourette 1885 ausführlich beschrieben.
Es handelt sich um ein neurologisch bedingtes Syndrom.
Die Diagnose wird gestellt, wenn über mehr als ein Jahr hin entsprechend ausdauernd und häufig mindestens zwei motorische Tics UND mindestens ein vokaler Tic (unwillkürliche mehr oder weniger komplexe Bewegungen bzw. Lautäußerungen) auftreten.
Die ersten Symptome werden meist im Schulalter bemerkt.
Abgegrenzt wird das Tourette-Syndrom zu
einfachen Ticstörungen mit einem oder zwei "isolierten" Tics (die viele Kinder mal haben, wenn sie ein paar Wochen oder Monate im Laufe ihrer Kindheit einen einzelnen Blinzeltic entwickeln o.ä.)
und
einer chronischen Ticstörung, wenn selbiger einzelner Tic länger als ein Jahr dauert.
Der Verlauf des Tourette Syndroms ist unterschiedlich.
Meist nehmen die Tics bis Ende der Pubertät eher zu, jedoch im jungen Erwachsenenalter verringern sie sich meistens auch wieder und hören oft vor dem 30. Lebensjahr ganz auf.
Aber leider nicht immer ...
Vorhersagen kann man das nicht. Da hilft nur abwarten und Ruhe bewahren.
Aber grundsätzlich schwankt die Intensität, die Häufigkeit und auch die Art der Tics bei jedem Betroffenen mehr oder minder stark und es gibt bei vielen auch ticarme oder gar ticfreie Phasen.
Bei den meisten Betroffenen halten die Tics sich so weit im Rahmen, dass damit ein ganz normales Leben möglich ist.
Jedoch muss man gut unterscheiden zwischen Tics, Zwängen und Stereotypien.
Nicht jede oft wiederholte Geste oder Äußerung ist ein Tic.
Eine genaue Differenzierung zwischen diesen verschiedenen Formen auffallender Verhaltensweisen finden Sie hier:
Unterschiede Stereotypien - Tics - Zwänge
Tics
sind - zweckfreie! - spontane Bewegungen (oder auch Handlungen) oder Geräusche (oder Worte, Sätze, Monologe), die sehr kurz, schnell und "einfach", aber durchaus auch sehr komplexer Natur sein können, und die der Betroffene gegen seinen eigenen Willen ausführen "muss".
Meist sind sie ihm durchaus bewusst, aber nicht unbedingt. Er kann sie manchmal mit Übung, wenn es sein muss, eine kurze Weile unterdrücken (manche Betroffene können dies sogar über ein paar Stunden hin) aber danach brechen diese um so stärker, heftiger und dringlicher hervor, etwa wie ein Schluckauf oder ein Niesen, dass man nicht wirklich verhindern kann, ob man will oder nicht.
Tics treten auch in entspannten Situationen auf und nehmen oft unter konzentrierter Beschäftigung mit spannenden, interessanten Tätigkeiten zeitweise ab.
So können "Tourettis" durchaus Autofahren und Oliver Sacks hat in "Eine Anthropologin auf dem Mars" den in den USA berühmten Chirurgen Dr. Carl Bennett vorgestellt, der sehr stark tickt, aber dennoch ein Meister seines Faches ist und ruhig wird, sobald er ein Skalpell in der Hand hält. Auch gibt es einen berühmten Basketballspieler und gute Musiker und Maler mit Tourette.
Touretter haben oft eine sehr schnelle Reaktionszeit, manchen gelingt es, den Ansatz eines Tics in eine gezielte Bewegung umzuwandeln, was beim Basketballspielen hilfreich sein kann. ;).
Viele Touretter neigen dazu, Tics von anderen zu übernehmen, oder auch allgemein Bewegungen und/oder Worte/Sätze anderer zu Tics umzuwandeln, so dass solche Tics einer Echolalie ähneln können.
Viele Touretter leiden gleichzeitig auch unter starken Zwängen.
Und häufig sind vom Tourette Syndrom Betroffene auch gleichzeitig von ADHS betroffen, wobei besonders auch die Hyperaktivität stark ausgeprägt sein kann.
Tics sollte man möglichst ignorieren, da sie durch das Bewusstwerden noch verstärkt werden können.
"Erfahrenere" Betroffene können manchmal lernen, bestimmte sehr störende Tics in weniger auffallende Formen "umzuleiten", (wie z. B. sehr lautes Schreien oder Kreischen, schmerzhafte Bewegungen, oder auch das naturgemäß von Dritten oft fälschlich als Provokation aufgefasste Ausrufenmüssen obszöner Worte, die sogenannte Korprolalie oder das Zeigen obzöner Gesten, die sogenannte Kopropraxie; diese beiden Formen bleiben glücklicherweise der Mehrheit der Betroffenen erpart).
Ausgeprägte Tics lassen sich mit Tiapridex (oder anderen entsprechenden Medikamenten) behandeln (wenn man Glück hat). Denn nicht bei jedem "Touretti" hilft jedes Medikament gleich gut, bei manchen hilft auch gar keines, es gibt jedoch mehrere Möglichkeiten, die probiert werden können.
Genaueres dazu finden Sie hier:
http://www.tourette.de/wasist/behandlung.shtml
Auch beim Vorhandensein von Tics kann ADHS bzw. Hyperaktivität medikamentös behandelt werden!
Man sagte früher, Methylphenidat (abgekürzt Mph, der Wirkstoff in Ritalin, Medikinet, Equasym und Concerta) verstärke Tics und so steht es ja auch noch im Beipackzettel . Neuere Studien (siehe ganz unten) haben jedoch erwiesen, dass dies nur in seltenen Ausnahmefällen so ist, dass im Gegenteil Mph Tics sogar lindern kann. Darum sagt man heute, dass man bei Tics und ADHS unbedingt das ADHS gut behandeln solle, was möglicherweise die Tics schon reduziert.
In den Fällen, in denen Tics mit der Mph-Gabe auffallen, ist es wohl oft so, dass die Tics schon da waren und mit dem ausgeglicheneren Wesen des Kindes dann plötzlich mehr auffallen.
Oder es handelt sich um eine vermutlich zufällige Gleichzeitigkeit der Ereignisse, die darum irrtümlich als einander verursachend angenommen wurden.
Die Lehre, dass Ritalin Tics auslöse oder verschlimmere, entstand entsprechend vermutlich dadurch, dass Tics oft etwa mit 7-8 Jahren erstmals auftreten, gerade in dem Alter also, in dem auch oft erstmals Methylphenidat verordnet wird.
Generell sollten Kinder mit Tourette Syndrom eine ganz normale Schule besuchen. Doch kann der Schulbesuch von Kindern mit Tourette-Syndrom natürlich besondere Probleme für Betroffene, Mitschüler/innen und Lehrer/innen aufwerfen. Eine Hilfe sein kann hier folgender Leitfaden sein.
Leitfaden für Lehrer mit Kindern mit Tourette-Syndrom in der Klasse:
http://www.tourette.de/wasist/lehrer_leitfaden.shtml
Weiterführende Informationen zum Tourette Syndrom finden Sie hier:
Tourette-Links
Zu der erwähnten - leider englischsprachigen - Studie:
Untersucht wurden 136 Kinder mit beiden Störungen (ADHS und Tourette). Sie bekamen Ritalin oder Catapres oder beides.
Fazit: Am effektivsten ist beides zusammen, aber Ritalin ist besser als sein Ruf, es verstärkte die Tics nämlich entgegen den Erwartungen und der herrschenden Lehre nicht, sondern reduzierte sie sogar!
Hier der Link:
http://www.medscape.com/viewarticle/429050
... und hier eine deutsche Übersetzung:
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Medscape Wire
Mit Stimulanzien kann man ADHD, Tic-Erkrankungen behandeln
Jennifer Warner
NEW YORK /Medscape Wire) 27. Februar -
Kindern, die unter ADHD, unter unkontrollierbaren Tics oder dem Tourette Syndrom leiden, kann unter Umständen durch die Einnahme von Stimulanzien geholfen werden.
Neue Forschungen ergaben, dass Stimulanzien wie zum Beispiel Ritalin (Methylphenidate) die unerwünschten Erscheinungen tatsächlich minimieren können - und sie nicht etwa verschlimmern.
Forscher berichten, dass ungefähr ein Viertel der Kinder, die in der Schule spezielle Betreuung brauchen an chronischen Tics leiden, und 99 % der Kinder mit diesen Tics - incl. dem Tourette-Syndrom - haben ADHD. Bis zu diesem Zeitpunkt, wurde davon abgeraten, diese Kinder mit dem normalerweise für ADHD empfohlenen Medikament Ritalin zu behandeln, denn man war davon überzeugt, dass Stimulanzien die Tics verschlimmern. Man wusste auch wenig über die Effektivität des Medikamentes Catapres (clonidine) bei der Behandlung von Tics, obwohl dies die am meisten verwendete Alternative zu Ritalin ist.
Eine neue Studie, die am 26. Februar in der Zeitschrift Neurology erschienen ist zeigt, dass diese beiden Medikamente - besonders wenn sie zusammen eingenommen werden - bei der Behandlung dieser Kinder erfolgreich sind.
Forscher studierten 136 Kinder im Alter von 7 bis 14 Jahren mit ADHD, die unter chronischen Tics leiden, und sie untersuchten die Wirkung der Medikamente, indem sie einzeln, zusammen oder gar nicht verabreicht wurden. Während der vier Monate andauernden Studie fand man heraus, dass bei allen Kindern, die Medikamente einnahmen, Erleichterung eintrat.
"Die Tics wurden nicht schlimmer unter der Einnahme von Ritalin, sondern die Heftigkeit der Tics nahm in allen Behandlungsgruppen ab", schreibt der Autor Roger Kurlan, MD, der Universität des Rochester Medical Center in New York.
Die Forscher stellen auch Verbesserungen in der Aufmerksamkeit und im Benehmen bei den mit Ritalin behandelten Kindern fest. Diejenigen, die Catapres einnahmen weinten weniger, waren weniger frustriert, ruhiger und nicht so aufgeregt und impulsiv. Der nachteiligste Effekt ist die Sedierung der Patienten, und dies ist bei der Behandlung mit Catapres ähnlich.
Die Autoren sagen, dass diese Ergebnisse dem Eindruck widersprechen, dass Kinder mit Tics und ADHD keine Stimulanzien wie Ritalin einnehmen sollen, welches sich bei 85 % der Kinder mit ADHD schon als effektiv erwiesen hat.
"Unsere Studie zeigt, dass die Bedenken, dass Ritalin die Tics verschlimmert und deswegen dieses Medikament bei Patienten mit Tics vermieden werden sollte, unberechtigt ist", schreibt der Autor.
In einem Leitartikel, der dieser Studie anhängt, schreiben Ruth Nass, MD, und Susan Bressman, MD, dass diese Ergebnisse den Standpunkt unterstützen, Stimulanzien zur Behandlung von Tics zu benutzen. Sie weisen aber auch darauf hin, dass weitere Forschung nötig ist, um festzustellen, ob die Kombination von Ritalin und Catapres wirklich die effektivste Behandlung für Kinder mit ADHD und Tics ist.
"Ob es die Sache wirklich wert ist, Catapres zusätzlich zu Stimulanzien verabreichen oder ob es nicht notwendig ist, deutliche, störende Tics zu behandeln, die auf nicht-stimulierende Medikamente impulsiv und aggressiv reagieren, muss am besten individuell entschieden werden", schreiben Nass und Bressman.
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