Unterschiede Asperger Syndrom - ADS




Es ist auffallend, dass eine ganze Reihe von Symptomen bei Autismus und bei ADS , also bei beiden Störungen auftreten (können).


Besonders hinsichtlich des Asperger Syndroms im Vergleich mit ADS kann es daher zu Unsicherheiten kommen, welche der beiden Störungen bei Betroffenen vorliegt, oder ob sie gemeinsam auftreten oder inwieweit vorhandene Symptome dem einen oder dem anderen Störungsbild zuzuschreiben sind.

Dies ist auf den ersten Blick oft schwierig zu unterscheiden.


Und dementsprechend gibt es auch Theorien, nach denen beide Störungen im Grunde Ausdruck ein und der selben Ursache seien, sozusagen unterschiedliche Schweregrade ein und der selben Störung, und dass sie dementsprechend auf einem Kontinuum lägen von schwer beeinträchtigten Menschen mit dem frühkindlichen Autismus nach Kanner über HFA und Asperger Syndrom hin zu ADS und weiter zu “NT”s, womit “neurologisch typische” Menschen gemeint sind.

Die Mehrheit der mit diesen Störungen befassten Fachärzte schließt diese Möglichkeit jedoch aus.
Es gibt Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass bei beiden Störungen unterschiedliche Bereiche des Gehirnes Beeinträchtigungen aufweisen.
Auch gibt es Menschen, die von beidem betroffen sind,
vom Asperger Syndrom und von AD(H)S zugleich.


Wenn man sich näher mit den Kernproblemen beider Störungen befasst, dann ist die Abgrenzung leichter zu erfassen.


Ich möchte mich hier bis auf weiteres darauf beschränken, einige wesentliche Punkte anzuführen, welche die beiden Störungen voneinander unterscheiden, denn wollte man sehr genau und umfassend vorgehen, dann könnte man darüber ein ganzes Buch verfassen. ;)

Grob gesagt könnte man sagen, dass es zwar eine Reihe von Überschneidungen in den Symptomen gibt, aber auch ein paar grundlegende Unterschiede, auf deren wichtigste ich mich hier jetzt mal zu konzentrieren versuche:



Probleme im Sozialverhalten

gibt es

bei ADS oder ADHS

meist vor allem,
weil die Betreffenden aufgrund ihrer Impulsivität anecken
oder wegen der Aufmerksamkeitsprobleme vieles einfach nicht mitbekommen
oder vergessen.
Oder auch hin und wieder, weil sie schlicht trotzig reagieren oder Grenzen austesten wollen.
In der Theorie jedoch beherrschen sie soziale Regeln durchaus, sie haben sie weitestgehend verinnerlicht, sie wie wir alle sozusagen "mit der Muttermilch aufgesogen".
Nur die konsequente Umsetzung dieses Wissens in die Praxis hapert halt des öfteren.

Beim Asperger Syndrom

hingegen reicht das Problem wesentlich tiefer:
Betroffene verstehen die Regeln erst gar nicht.
Sie erkennen keinen Sinn darin, begreifen nicht, warum man sich wann wie verhält und können es darum auch bei gutem Willen und vorhandener Aufmerksamkeit nicht immer richtig machen. Darum wirken sie oft arrogant und ausgesprochen egozentrisch, gar egoistisch, ohne dies jedoch im eigentlichen Wortsinn zu sein.
Das kann bei Mädchen weniger auffallen als bei Jungen, weil Mädchen solche Unsicherheiten oft besser überspielen können, aber es fällt doch immer wieder auf, selbst bei größtem Bemühen des Betroffenen, nicht aufzufallen.

Autistische Menschen lernen nur sehr begrenzt durch Nachahmung
(zumal sie Mimik und Gestik und Körpersprache anderer nur begrenzt richtig deuten können, darum auch z. B. die häufigen Auffälligkeiten im Blickkontakt - sie entnehmen dem Gesicht und den Augen anderer kaum Informationen über deren Innenleben)
und Erfahrung
(einer der Gründe für ihre Neigung zu endlosen Wiederholungen von Fehlern, Fragen, Gesagtem usw.)
und sie können in einer Situation Erlerntes kaum auf andere, ähnliche Situationen übertragen.
Sie können zwar Grundregeln erlernen

- über logisches Aufschlüsseln und ausführliche, sehr oft wiederholte Erklärungen, wer warum wann wie worauf reagiert und warum man selbst wann wie angemessen darauf eingeht -,
aber dies kann stets nur ein grobes Gerüst, ein Orientierungsrahmen sein, an dem sie sich "entlanghangeln",
denn unsere sozialen Spielregeln sind derartig vielschichtig und subtil und oft auch widersprüchlich, dass das logische Erlernen von Standard-Regeln eigentlich nicht ausreicht, um im Alltag wirklich gut zurecht zu kommen und nicht aufzufallen.
Und so bleibt ihr Sozialverhalten immer, auch als Erwachsene noch, mehr oder weniger hölzern, es kommt immer wieder zu auffallenden Missverständnissen usw., selbst bei solchen autistischen Menschen, die durch viel Übung auf den ersten Blick fast unauffällig wirken mögen.


Kommt dann ein ADS oder ein ADHS hinzu, so potenzieren sich die Schwierigkeiten natürlich, denn dann haben die Betroffenen zusätzlich zu den grundlegenden Verständnisschwierigkeiten auch noch Probleme mit der Aufmerksamkeit und der Impulskontrolle, so wie jeder andere AD(H)Sler auch.

Bedenkt man dann noch, dass es durchaus zudem auch noch viele hochbegabte Menschen mit Asperger Syndrom gibt, so wird klar, dass sich die Problematik wenn alle drei Diagnosen aufeinandertreffen wiederum noch weiter verkompliziert.


Dann kommen noch die erheblichen Schwierigkeiten durch die

massiven Wahrnehmungsverarbeitungsprobleme

hinzu,
die in dieser Form bei ADS nicht auftreten,
auch wenn es dort natürlich ebenfalls durch Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen verursachte Probleme gibt.
Aber eben nicht in diesem Ausmaß.

Bei autistischen Menschen können zum Beispiel die dadurch verursachten Ess-Probleme so weit gehen, dass sie buchstäblich lieber verhungern, als etwas zu essen, was nicht exakt ihren Kriterien für ein akzeptables Essen entspricht. Und diese Kriterien sind oft - nicht immer! - sehr, sehr eng gefasst. Es gibt aber umgekehrt auch autistische Menschen, deren Geschmacksempfinden und deren taktiles Empfinden etc. statt wie im genannten Beispiel extrem überempfindlich zu sein stark reduziert ist, was zu dem umgekehrten Phänomen führen kann, dass sie wahllos alles zu essen versuchen, was ihnen in die Finger gerät.
Es gibt autistische Kinder, die sogar Glasscherben essen würden, wenn man sie nicht daran hindert.
Es kann auch sein, dass ein autistisches Kind in einem Geschmackbereich extrem sensibel reagiert, in einem anderen dagegen kaum etwas wahrzunehmen scheint, so dass es beispielsweise dazu neigen kann, jedes Essen sehr stark zu versalzen, während auch nur minimal sauer Schmeckendes bei ihm zu einem heftigen Brechreiz führt.


Autismus ist also sehr komplex und sehr vielgesichtig.

Immer aber gibt es - neurologisch bedingte - Auffälligkeiten, die - kennt man die Hintergründe nicht - völlig unerklärlich scheinen und die sich auch durch noch so konsequente “klassische” Erziehung nicht verbessern lassen.


Bei vielen - nicht allen! - autistischen Kindern funktionieren darum z.B. auch die für ADS-Kinder zu Recht empfohlenen Punktepläne nicht,
da es keine realisierbaren Belohnungen gibt, die sie genug reizen könnten,
keine Konsequenzen, die sie genug "abschrecken", zumal sie den Zusammenhang oft auch gar nicht zu verstehen in der Lage sind,
da sie ausschließlich in der Gegenwart leben und kaum imstande sind, in Aussicht gestellte Belohnungen oder Konsequenzen auf ihr jetziges Handeln zu beziehen, bzw. dann, wenn sie erfolgen, ihr "früheres" Verhalten damit in Verbindung zu bringen, sei es eine Stunde, einen Tag, eine Woche oder einen Monat her.


"Normale" Aspies haben beispielsweise in der Regel keine Probleme damit, ihre

Aufmerksamkeit

auf bestimmte Dinge zu konzentrieren, jedenfalls nicht deshalb, weil sie von anderen Reizen zu stark abgelenkt werden und sozusagen von einem Interessanten zum nächsten hüpfen.
Natürlich werden sie von (Sinnes-)Reizen auch schnell überfordert, aber dann machen sie meist entweder ganz zu oder rasten aus.
AD(H)Sler hingegen beschäftigen sich in solchen Fällen dann meist mit dem weiter, was sie ablenkte. ADSler lassen sich im Gegensatz zu Aspies oft schnell von Neuem begeistern.
Menschen mit Autismus hyperfokussieren auch - ähnlich wie es bei ADS bekannt ist - auf ihre Spezialthemen, die sie extrem stark interessieren, oder auf sie stimulierende Stereotypien.
Aber es ist normalerweise nicht so, dass sie tausend Dinge gleichzeitig im Kopf haben, alles anfangen und nichts zu Ende bringen usw.
Im Gegenteil sind die meisten Asperger Betroffenen sehr darauf bedacht, alles was sie anfangen geradezu zwanghaft auch zu Ende zu bringen. Und zwar auf genau die Art und Weise, die sie für richtig halten.
Außer sie leiden zusätzlich an ADS ... ;)
"Aspies" sind normalerweise nicht - wie die meisten ADSler - ein "Hansdampf in allen Gassen", die sich für alles und nichts interessieren, sich schnell begeistern lassen und sich nicht festlegen wollen oder können, die ständig etwas Neues suchen und gerne auch mehrere Dinge gleichzeitig tun.
Sondern sie konzentrieren sich stets nur auf eine Sache, auf ein Detail, und lassen nicht davon ab, bis sie damit zufrieden sind (wobei sie sehr "eigene" Kriterien anlegen können, was denn nun genau als zufriedenstellend gelten mag), werden sogar oftmals sehr wütend (oder geraten z. B. in Panik), wenn sie durch anderes oder andere daran gehindert werden.
Ein ADSler hingegen würde sich meist schnell von dem Neuen faszinieren lassen und darauf stürzen, und darüber gerne auch mal das vergessen, womit er zuvor beschäftigt war.
Einem "reinen" Aspie passiert dies nicht.


Ist jemand aber von beiden Diagnosen betroffen, so vermischen sich die Symptome beider oft so wirr, dass das Verhalten oft auch sehr widersprüchlich erscheint.

Es passiert aber nicht selten, dass auch "reine" Aspies von Autismus-unerfahrenen Ärzten zunächst die Diagnose ADS erhalten obwohl diese eigentlich nicht stimmt, sondern es sich in Wirklichkeit eben um Autismus handelt.
Wenn man bedenkt, dass sich die Symptome ja auch tatsächlich teilweise überschneiden, ist das zumindest verständlich, wenn auch nicht schön.
Doch ist die Diagnose Asperger Syndrom auch erst vor einigen Jahren in die Diagnoseleitlinien von ICD-10 und DSM IV aufgenommen worden, davor gab es sie so offiziell noch nicht, obwohl Hans Asperger die Behinderung schon in den 40er Jahren beschrieb. Aber im Gegensatz zu Leo Kanner ist er einfach nicht beachtet worden.

Darum kennen sich damit noch viel weniger Ärzte gut aus, als mit ADS.
Obwohl einige dies leider von sich selbst nicht wahrhaben wollen, doch haben sie dann meist die "klassischen" Vorurteile im Kopf, die ja auch viele Laien kennen,
z.B. dass Autisten angeblich grundsätzlich nicht sprechen, niemandem jemals in die Augen sehen, niemals lachen, niemals jemandem die Hand geben usw. Darum wird oft Autismus zu Unrecht ausgeschlossen, obwohl er vorliegt.

Was natürlich die Odyssee der Betroffenen auf der Suche nach einer Diagnose ins Unendliche verlängern kann.

Dies ist dies nur ein kleiner Teilaspekt dessen, was sich zu der Frage "Unterschiede und Gemeinsamkeiten von ADS und Asperger Syndrom" alles schreiben ließe.
Ich hoffe, er hilft Ihnen trotzdem ein bisschen weiter.





Hier finden Sie einen Vortrag von Dr. Spitczok von Brisinski von der KJP Viersen zur Differentialdiagnostik von Asperger Autismus, ADS und Hochbegabung anlässlich einer Tagung zu diesem Thema:
http://bkjpp.de/index.php5?x=/for403_asperger-hochbegabung-ads.php5


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