Epilepsie und ADS



Treten ein ausgeprägtes ADS (ADHS, ADD, ADHD, POS, HKS, MCD, ...) und Epilepsie gemeinsam auf, so sind die Eltern oft sehr besorgt.

Heißt es doch immer wieder, dann dürften gegen das ADS keine Medikamente gegeben werden, auch wenn es "eigentlich" nötig wäre.
Und auch im Beipackzettel der Stimulanzien steht ein Warnhinweis.



Nun ist es so, dass man dies früher auch wirklich gedacht hat.
Inzwischen hat man dazu Studien durchgeführt und weiß deutlich mehr darüber.

Eine Metaanalyse (Zusammenfassung der Ergebnisse verschiedener Studien) solcher Studien aus dem Jahre 2000 finden Sie hier:

Ist die Gabe von Methylphenidat bei Komorbidität von Epilepsie und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung kontraindiziert oder nicht? (publiziert in: Aktuelle Neurologie 27 (2000) 72-76) von Klaus-Henning Krause und Johanna Krause http://www.hyperaktiv.de/forschung/aktneurol.doc


Fazit:

Bei Menschen mit Epilepsie, die gut medikamentös eingestellt und darunter anfallsfrei sind, führte die zusätzliche Gabe von Methylphenidat (dem Wirkstoff in den gängigen Medikamenten, die bei AD(H)S verordnet werden) nicht zu einem erneuten Auftreten von Anfällen.

Bei denjenigen, bei denen keine Anfallsfreiheit bestand, zeigte sich in einer einzigen Studie eine leichte Erhöhung in der Häufigkeit der Anfälle. Alle anderen Studien fanden auch hier keine Verschlechterung des Anfallsleidens.

Bei zwei bestimmten Sorten von Epilepsie, der kindlichen Absencen-Epilepsie und der juvenilen myoklonischen Epilepsie kam es sogar zu einer deutlichen Verbesserung des Anfallsleidens!
Dies wurde schon vor Jahrzehnten auch bei anderen Stimulanzien beobachtet (d-Amphetamin und Benzedrin)

Insofern ist eine Gabe von Methylphenidat bei Kindern mit dieser Epilepsieform also nicht nur zu tolerieren, sondern sogar ausdrücklich empfehlenswert, wenn sie zusätzlich unter AD(H)S leiden.

Bei allen anderen gilt, dass nach Datenlage in der Literatur keine Bedenken bestehen, Methylphenidat zu geben, wenn durch Medikamentengabe Anfallsfreiheit erreicht wurde.

Wenn keine Anfallsfreiheit besteht, ist möglicherweise im Einzelfall mit einer geringen Erhöhung der Anfallsfrequenz zu rechnen, was bedeutet, dass hier individuell Nutzen und Risiko abgewogen werden muss. Bei einer Gabe von Methylphenidat sollte bei solchen Patienten das Anfallsgeschehen sicherheitshalber gut beobachtet werden.





Meine eigenen Erfahrungen bestätigen diese Ergebnisse.

Als bei meinem Sohn Lugia die Epilepsie sich Anfang 1997 zu einem Pseudo-Lennox-Syndrom mit ESES auswuchs, geriet prompt zunächst das wegen seines ausgeprägten ADHS gegebene Ritalin in Verdacht, schuldig zu sein. Es wurde sofort abgesetzt, mit katastrophalen Folgen für sein Verhalten.

Erst etwa ein halbes Jahr später versuchte man erneut, es zu geben, da sein Verhalten wirklich kaum einzugrenzen war. Die vielfältigen Anfälle des Pseudo-Lennox konnten inzwischen medikamentös aufgefangen werden, das ESES und atypische Absencen bestanden jedoch weiterhin. Man verglich das EEG ohne und mit Ritalin und stellte keine weitere Verschlechterung fest. Dass sein Verhalten sich tatsächlich durch das Ritalin deutlich besserte, überprüfte man durch eine doubleblind-Gabe von Placebo. (D.h. weder mir noch den verabreichenden Schwestern wurde gesagt, dass Placebo gegeben wurde, erst nach den vielen verwunderten Rückmeldungen über sein wieder stark verschlechtertes Verhalten lüftete man das Geheimnis.)

Später wurde die Dosis erhöht, da er anfangs - entgegen den neueren Erkenntnissen - nach Gewicht dosiert wurde und damit noch stark unterdosiert war. Sein Verhalten besserte sich weiter und das EEG verschlechterte sich auch dabei nicht.






Inzwischen gibt es auch neuere Studien zu diesem Thema, mit ähnlich erfreulichem Resultat.

Auf einer Tagung in Saarbrücken im September 2003 trug Prof. Dr. A. Warnke von der KJPsychiatrie und -Epilepsie-Ambulanz der Uni W?rzburg diese vor:

So lag bei einer Studie von Hammer 2001 an Patienten ohne Epilepsie bei Mph-Behandlung die Anfallshäufigkeit mit 1 aus 175 Patienten genauso hoch wie bei der Normalpopulation. Prof. Warnke hat die Fälle in seiner Uniklinik retrospektiv ausgewertet und kam auf einen Wert unterhalb des Risikos in der Normalbevölkerung.

Eine ganz neue Studie von Gucuyoner et al. vom Februar 2003 hat sogar signifikant positive Ergebnisse bei ADHS bei nicht erhöhter Anfallshäufung ergeben.
Den englischen abstract dazu finden Sie hier: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=pubmed&dopt=Abstract&lis t_uids=12693777

J Child Neurol. 2003 Feb;18(2):109-12. Related Articles, Links

Use of methylphenidate for attention-deficit hyperactivity disorder in patients with epilepsy or electroencephalographic abnormalities.

Gucuyener K, Erdemoglu AK, Senol S, Serdaroglu A, Soysal S, Kockar AI.

Department of Pediatric Neurology, Faculty of Medicine, Gazi University, Ankara, Turkey.

Methylphenidate is commonly believed to lower seizure threshold. The safe use of methylphenidate has not been clarified in patients with attention-deficit hyperactivity disorder (ADHD) and concomitant active seizure or electroencephalographic (EEG) abnormalities. Patients with ADHD and active seizures (n = 57) and patients with ADHD and EEG abnormalities (n = 62), 6 to 16 years of age, were included in the study. The safety and efficacy of treatment with antiepilepsy drugs combined with methylphenidate were determined by assessing seizure frequency, changes in ADHD symptoms, the Conners' Rating Scales, EEG differences, and side effects. The Conners' Rating Scales, performed by parents and teachers, and mean total ADHD symptom scores at the beginning of the study and at the end were significantly different (P = .05 for the Conners' Rating Scales and P = .001 for ADHD symptom scores). Methylphenidate had a beneficial effect on EEG. Seizure frequency did not change from baseline. The side effects of methylphenidate were mild and transient Methylphenidate is safe and effective in children with ADHD and concomitant active seizures or EEG abnormalities.

Publication Types:
Clinical Trial

PMID: 12693777 [PubMed - indexed for MEDLINE]





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